Kognitive Verhaltenstherapie
Zur Entwicklung der Kognitiven Verhaltenstherapie
Die Kognitive Verhaltenstherapie kann als Weiterentwicklung der klassischen Verhaltenstherapie angesehen werden. Sie betont die kognitiven, d.h. gedanklichen und vorstellungsmäßigen Prozesse und weist ihnen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Aufrechterhaltung von psychischen Problemen zu. Als erster Psychotherapeut betonte der amerikanische Psychologe ALBERT ELLIS die Bedeutung kognitiver Aspekte. Er entwickelte in den fünfziger Jahren seine Rationale-Therapie (RT), die im Laufe der Jahre weiterentwickelt wurde und heute unter dem Namen Rational-Emotive Verhaltenstherapie (RET) einen großen Einfluss auf die Psychotherapie, vor allem im amerikanischen Raum, hat. Neben Ellis, der sich vorwiegend mit neurotischen Störungen beschäftigt hat, ist als weiterer Vertreter der amerikanische Psychiater AARON T.BECK zu nennen, der kognitive Behandlungsmodelle entwickelte zu den Störungsbereichen Angst, Depression, Persönlichkeitsentwicklung und Sucht. ARNOLD LAZARUS, ein Professor der Psychologie, erarbeitete ein kognitiv ausgerichtetes Stress-Modell, das die Rolle der subjektiven Bewertungen für die Entwicklung von Stress betont. Stress stellt demnach kein objektives Geschehen dar, sondern führt erst durch die gedankliche Bewertung zur Überforderung und damit zur Krankheit. Das Gemeinsame dieser Forschungs- und Arbeitsansätze ist die Betonung der gedanklichen Prozesse. Nicht ein Ereignis an sich führt zu bestimmten emotionalen Reaktionen, sondern die Art und Weise wie der Einzelne dieses Ereignis bewertet. Damit greift die Kognitive Verhaltenstherapie das Gedankengut antiker Philosophen wie EPIKTET, SENECA und MARC AUREL auf, die ebenfalls die Bedeutung der Gedanken hervorgehoben haben. So kann der Satz des Epiktet: "Es sind nicht die Dinge, die den Menschen Angst machen, sondern das, was sie über die Dinge denken" als Leitsatz für die kognitive Wende angesehen werden, wie die Erweiterung der Verhaltenstherapie durch kognitive Verfahren bezeichnet wird. ELLIS hat das Gedankengut der antiken Philosophie in ein modernes Konzept übertragen und systematisch erweitert. Ich möchte nachfolgend beispielhaft anhand seines ABC-Modells die Prinzipien und das Vorgehen der Kognitiven Therapie verdeutlichen.
Albert Ellis -
Düsseldorf 1985
Das ABC der Gefühle
Stellen Sie sich einmal vor, Sie sind gerade im Begriff, Ihre Haustür zu öffnen. Sie sind allein und es ist mitten in der stockdunklen Nacht. Plötzlich hören Sie nur wenige Meter hinter sich ein lautes Geräusch. Sie zucken automatisch zusammen und Ihnen gehen Gedanken in der Art durch den Kopf wie: "Da könnte jemand sein, der mir Gewalt antut! Hoffentlich passiert nichts!" Sie spüren einen Kloß im Hals, es fährt Ihnen in den Magen und Ihr Herz rast schneller. Sekunden später springt eine Katze aus der Richtung des Geräusches. Erleichtert sagen Sie sich innerlich: "Gott sei Dank! Es war bloß eine Katze!" Ihnen fällt ein Stein vom Herzen und die Spannungsgefühle lassen nach. Was ist passiert? In beiden Fällen stellt sich die Situation gleich dar (lautes Geräusch hinter Ihnen). Im ersten Fall denken Sie, dass eine Gefahr damit verbunden sei und erleben ein Gefühl der Angst. Im zweiten Fall erklären Sie sich das Zustandekommen des Geräusches durch die Katze und entwarnen. Sie erleben Erleichterung. Ihre beiden unterschiedlichen Interpretationen derselben Situation führen jeweils zu unterschiedlichen Gefühlen. Im ersten Fall erleben Sie Angst, im zweiten Fall Erleichterung als Folge Ihres Denkens. In der Terminologie der RET würden wir diese Sequenz wie folgt darstellen, wobei wir folgende Anteile unterscheiden:
Unterschiedliche Gedanken führen zu unterschiedlichen Gefühlen. Unser Körper reagiert auf diese Gedanken so, als wären sie richtig. Er hinterfragt nicht die Richtigkeit dieser Gedanken. So wäre es in unserem BEispiel auch nicht ausgeschlossen, obwohl die Katze aus der Richtung des ursprünglichen Geräusches gekommen ist, dass trotzdem noch eine Gefahr droht. Möglicherweise ist auch die Katze selbst vor dieser potentiellen Gefahr geflüchtet. Unsere Interpretation ("Es ist eine Katze und es besteht keine Gefahr") wäre dann nur teilweise richtig. Da wir jedoch im Moment davon überzeugt sind, dass unsere Einschätzung der Situation stimmt, erleben wir auch das entsprechende Gefühl, nämlich Erleichterung. Das Ziel der Kognitiven Therapie besteht nun darin, die Richtigkeit der Gedanken zu hinterfragen, um eine möglichst angemessene Bewertung der Situation zu bekommen. Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch grundsätzlich in der Lage ist, realistisch zu denken, obwohl diese Eigenschaft möglicherweise im Laufe des Lebens nur begrenzt ausgebildet bzw. unzureichend trainiert wurde. Innerhalb der Kognitiven Therapie lernen Sie, wie ein Wissenschaftler vorzugehen und Informationen zu sammeln, um die Richtigkeit Ihrer Gedanken zu überprüfen und eine angemessene Bewertung oder Einschätzung vorzunehmen, um dementsprechend angemessene Gefühle erleben zu können.
Kennzeichen von hilfreichem und schädigendem Denken
Angemessene Bewertungen von Ereignissen führen auch zu angemessenen Gefühlen. Umgekehrt führen überzogene und fehlangepasste Interpretationen zu äußerst negativen und schädigenden Gefühlen.
Aber wann ist eine Einstellung angemessen? Der Psychologe Max Maultsby hat dazu folgende Kriterien genannt: ein angemessenes Denken liegt dann vor, wenn a) der Gedanke, den ich denke, mir dabei hilft, gelassen, selbstsicher und mich mir und meiner Situation gegenüber bewusst zu sein. b) für die Richtigkeit dieses Gedankens Beweise vorliegen. c) der Gedanke mir zu den Gefühlen verhilft, die ich auch tatsächlich haben will. d) der Gedanke mich dabei unterstützt, mein beabsichtigtes Ziel zu erreichen. e) und der Gedanke dazu beiträgt, mögliche Konflikte mit anderen Menschen zu minimieren.
Sehr häufig denken Menschen jedoch eher unangemessen und unrealistisch. Beispielhaft sollen einige schädigende Denkmuster genannt werden:
Alles-oder-Nichts-Denken
Ereignisse werden starr in zwei Kategorien eingeteilt. Entweder ist etwas gut oder schlecht, jemand ist lieb oder böse, mein Nachbar ist entweder intelligent oder dumm. Was fehlt, ist eine differenzierte Einschätzung; denn niemand ist 100%-ig gut oder schlecht, lieb oder böse. Vielmehr sind Anteile sowohl von der einen als auch von der anderen Eigenschaft vorhanden.
Perfektionistisches Denken
Dieses Denken hängt sehr eng mit dem Alles-oder-Nichts-Denken zusammen. Typisch ist hierbei die Erwartung, dass eine Leistung perfekt, d.h. 100% bzw. 150%-ig sein muss und dass dies immer und in allen Fällen so sein soll. Mitunter haben Menschen, die so denken, auch eine "Messlatte" in Bezug auf ihre Leistung, die sie niemals unterschreiten dürfen, ansonsten ist es schlimm und katastrophal und sie definieren sich als "Versager".Falsche Schlüsse ziehen
Damit ist gemeint, dass aufgrund eines einzelnen Merkmals ein Schluss auf das Gesamtereignis gezogen wird. Es handelt sich hierbei um eine Übergeneralisierung. So kann es passieren, dass Sie einen Menschen erleben, der sich zu anderen sehr freundlich verhält und Sie ziehen den Schluss, dass er sich immer so verhält. Häufiger kommt allerdings der umgekehrte Fall vor: Sie erleben beispielsweise, dass sich ein Bayer oder Preuße daneben benimmt und ziehen die Schlussfolgerung, dass alle Bayern oder Preußen so sind (Entwicklung eines Vorurteils).
Katastrophisierung und Konzentrierung auf das Negative
Die Wahrnehmung wird einseitig auf negative Aspekte eines Ereignisses gerichtet bzw. negative Konsequenzen erwartet ("Wenn ich in die Gruppe gehe, werden die anderen mich bestimmt ablehnen!"). Tritt nun das negative Ereignis ein, was im Sinne der sich-selbst-erfüllenden Prophezeiungen dann auch wahrscheinlich ist, findet eine überzogene Bewertung statt: "Es ist schlimm und katastrophal, dass die anderen mich nicht mögen! Das kann ich nicht aushalten!" Überverantwortlichkeit Hierbei sieht man sich selbst als die Ursache für das Zustandekommen eines Ereignisses an, obwohl man es nicht ist. Beispiele: "Ich hätte den Fehler nicht machen sollen. Ich hätte ihn verhindern können. Ich bin sicher, dass die anderen deshalb über mich lachen." "Wenn ich meinem Kind mehr bei den Hausaufgaben geholfen hätte, wäre die Note in der Klassenarbeit besser ausgefallen."Therapeutische Maßnahmen und Anwendungsgebiete
Das Ziel von kognitiven Therapien besteht darin, die unrealistischen Denkmuster zu identifizieren, sie auf ihren Realitätsgehalt hin zu überprüfen und daraufhin realistische Alternativen zu entwickeln. Im Gegensatz zu analytischen Verfahren, die die Gründe für das Zustandekommen von Symptomatiken suchen, gehen die kognitiven Verfahren einen Schritt weiter und fragen: "Was denken Sie im tellung wäre hilfreich und angemessen, damit Sie besser mit der Situation umgehen können?" Neben einer Einstellungsänderung wird auch ein besonderer Wert auf die Verhaltensmodifikation gelegt ("actions speak louder than words"). Eine alleinige (theoretische) Einsicht, dass das Denken unrealistisch und selbstschädigend ist und eine andere Einstellung der Situation gegenüber angemessener sei, reicht nicht aus, um sich auch wirklich zu verändern. Vielmehr ist entscheidend, dass der verändertem Einstellung auch tatsächlich ein verändertes Verhalten folgt! So weiß mitunter der Angstbetroffene, dass er nicht umfallen wird, wenn er ein Kaufhaus aufsuchen sollte.
Aber dies zu wissen oder tatsächlich auch zu tun, ist ein großer Unterschied. Deshalb werden die Patienten innerhalb der Kognitiven Therapie bewusst motiviert und aufgefordert, gegen ihre Ängste und sonstigen Symptome vorzugehen (=Rot-Grün-Blindheit, d.h. wenn innerlich das erscheint, dann Gas geben!). D.h. Angstbetroffene sollen sich bewusst ihren Ängsten stellen und lernen, tatsächlich auch aktiver zu werden und gegen ihre Vermeidungstendenzen vorzugehen.
Neben kognitiven Verfahren, die primär auf eine Einstellungsveränderung abzielen, legt die Kognitive Verhaltenstherapie also auch einen besonderen Wert auf die Umsetzung verhaltensbezogener Techniken. Darüber hinaus finden imaginative (in der Vorstellung ablaufende) Verfahren und Entspannungstechniken Anwendung. Das Ziel der Therapie besteht jedoch vorrangig darin, eine Einstellungsänderung zu bewirken, die situationsangemessen und hilfreich ist. Da sich die Kognitive Verhaltenstherapie wie andere psychotherapeutische Verfahren auch, in einem ständigen Veränderungs- und Weiterentwicklungsprozess befindet, werden auch andere Therapieverfahren in das Konzept integriert.
Progressive Muskelrelaxation nach E. JACOBSON
Das Ihnen nachfolgend vorgestellte Entspannungsverfahren wurde von dem amerikaníschen Physiologen Edmund JACOBSON im Jahr 1938 entwickelt und ist auch unter dem Namen "Progressive Muskelrelaxation", "Aktives Muskelentspannungstraining" oder einfach "Jacobson-Training" bekannt. Bei diesem Training spannen Sie abwechselnd verschiedene Muskelgruppen nacheinander an und entspannen diese dann wieder. Dadurch wird eine durchgängige gesamtkörperliche Entspannung erzielt. Hintergrund dieses Vorgehens ist die natürliche Tendenz des Organismus, auf vorausgehende Belastungen (hier: Anspannung) physiologisch mit Ermüdung (hier: Entspannung) zu reagieren. Ein weiterer wichtiger Effekt besteht darin, dass sich der Patient beim Training zum ersten Mal bewusst macht, unter welcher intensiven chronischen Anspannung sich seine Muskeln befinden (besonders: Nacken, Bauch, Schultern, Rücken), was häufig die unmittelbare Ursache von psychosomatischen Schmerzzuständen darstellt. Das (Wieder-)Erlernen der Wahrnehmung körpereigener Spannungszustände soll dabei helfen, zukünftig möglichst früh beginnende Ver- und Anspannungen zu registrieren, um darauf gezielt mit Entspannung und Lockerung reagieren zu können. In diesem Sinn wirkt die Progressive Muskelrelaxation auch prophylaktisch, d.h. vorbeugend, und sie verhindert bzw. reduziert dadurch Beschwerden und Anspannungen. Die Progressive Muskelrelaxation ist eine empirisch gut abgesicherte Methode hinsichtlich ihrer Wirkungsweise. Von positiven Effekten wird bei den folgenden Symptomen und Problemen berichtet: Hypertonie, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und andere Schmerzzustände, Angst- sowie Spannungsgefühle. Darüber hinaus zeigen sich Verbesserungen im Rahmen der allgemeinen Befindlichkeit und vegetativen Stabilität sowie der Ausgeglichenheit im zwischenmenschlichen Bereich.
Autogenes Training nach H.J.SCHULTZ
Beim Autogenen Training handelt es sich um ein von dem deutschen Nervenarzt J.H.SCHULTZ im Jahre 1932 entwickelten Verfahren zur konzentrativen Selbstentspannung. Hierbei konzentrieren Sie sich nacheinander auf bestimmte Körperbereiche und versuchen, diese positiv im Sinne von Entspannung zu beeinflussen. Das Autogene Training besteht in seiner Grundstruktur aus sechs aufeinander folgenden Formeln, die sich auf die jeweiligen Körperbereiche beziehen und mit diesen assoziiert sind. Nach wiederholtem Training erreichen Sie eine Entspannung Ihres Gesamtorganismus, das vegetative Nervensystem wird beruhigt, der Entspannungseffekt entwickelt sich im Gegensatz zum Jacobson-Training durch Konzentration und Selbstsuggestion. Das Autogene Training ist das im deutschsprachigen Raum am häufigsten angewendete Verfahren. Es kann als Einzeltherapie durchgeführt werden, aber auch im Gruppensetting. Positive Effekte konnten bisher bei folgenden Symptomen und Problemen nachgewiesen werden: Kopfschmerz, Migräne und andere Schmerzzustände, Schlafstörungen, Ängste und Verspannungen. Außerdem wurden in verschiedenen Untersuchungen von Verbesserungen der allgemeinen Befindlichkeit und vegetativen Stabilität berichtet sowie im zwischenmenschlichen Bereich und im Rahmen des Selbstvertrauens.